Controlling 21

Dr. J. Schuhmacher

vg

Neue Theorie für Internet-Systeme

Abstract

Während die klassische Software-Ergonomie meist von einer (arbeits-) aufgabenzentrierten Analyse und deren Arbeitsumgebung ausgeht, sehe ich einen zielgruppenorientierten Ansatz im Internet als zielführender. Auch wenn die Ergebnisse beider Ansätze sich oft ähneln, so sind für das Marketing im Internet und somit für die Erstellung und Optimierung von Internet-Auftritten Zielgruppen hilfreicher - weil flexibler - als reine Aufgaben und deren - eher statische - Arbeitsumgebung.

Definition

Unter "Internet-System" sind hier alle http-basierten Systeme subsumiert (http: Hyper Text Transport Protocol - Standard für Internet-Systeme). Dazu gehören somit auch Intranet- und Extranet-Systeme. Ferner wird nicht der teilweise haarspalterischen Unterteilung in B2C (Business to Customer - Firmenauftritte für Endkunden), B2B (Interfirmenbeziehungen), C2C (Endkunden-/Privatauftritte), A2C (Administration to Customer - Verwaltungsauftritte) etc. gefolgt, da ergonomische Regeln auf alle Systeme anwendbar sind. Der größte Unterschied scheint bei einer derartigen Unterteilung bei der Zielgruppe zu liegen, der jedoch zeitabhängig ist. Ein Unternehmer ist in der Mittagspause oder am Abend auch Privatkunde etc.

Fehlende ganzheitliche Theorie

Heute existieren zum Thema Software-Ergonomie zahlreiche Standards, Regelwerke, Gestaltungsrichtlinien und Gestaltungsempfehlungen. Das grundlegende Problem der Software-Ergonomie und vor allem der Internet-Ergonomie liegt jedoch im Fehlen einer ganzheitlichen theoretischen Basis.
Ferner mangelt es an daraus ableitbaren universell anwendbaren Gestaltungsregeln, die für die Erstellung neuer Software, bzw. Internet-Auftritte, einen methodisch systematischen Konstruktionsprozess ergeben, der alle Kriterien berücksichtigt und sie in einer Prozesskette logisch bearbeitbar macht.

Neben einem grundlegenden Gestaltungsansatz fehlen operationalisierbare Gestaltungskriterien mit Leitprinzipien. Vorhanden sind, wie in den DIN/EN/ISO-Vorschriften, nur zahlreiche Gestaltungskriterien, die jedoch viele Einzelkriterien eher allgemein und oft ohne Beziehung zueinander beschreiben. (Siehe hierzu unter anderem die DIN/EN/ISO 9241 - Gestaltungsgrundsätze).

Ferner scheinen die bisherigen Ergonomierichtlinien eher eine analytisch deskriptive Zielrichtung zu besitzen und für die Begutachtung von bereits existierender Software und Internet-Auftritten geeignet zu sein. Hieraus erklären sich zahlreiche Designkonflikte in der praktischen Produktion neuer Auftritte.
Auch Versuche wie EU CON II, ein Modell, das EU-Richtlinien prozessorientiert zur Bewertung und Verbesserung der Ergonomie einsetzt, zielen eher auf die allgemeine Befragung der Software-Nutzer, als auf Experten ab. Für die Internet-Ergonomie ist dies jedoch nicht umsetzbar.

Leitideen oder Leitlinien sollen bei der Konstruktion bzw. der ergonomischen Optimierung eines Internet-Auftrittes den Anwender lenkend unterstützen, statt sie wie die bisher üblichen Restriktionen einzuengen. Ferner entstehen aus der puren Aneinanderreihung von unterschiedlichen ergonomischen Kriterien Styleguides mit teilweise 300-800 Seiten, die in der Folge zu Akzeptanzproblemen bei den Entwicklern führen.

Multipler strategischer Ansatz

Hier soll ein neuer theoretischer Ansatz unternommen werden. Primär lassen sich die Ergonomierichtlinien in situationsunabhängige und situative (situationsabhängige) Faktoren unterteilen. Ferner lässt sich ein theoretischer Ansatz in vierfach strategischer Richtung über die Zielgruppen, die Ziele der Nutzer, das Thema des Auftrittes und das vom Besitzer gewünschte Image herleiten. Jede Zielgruppe als auch jedes Ziel (Einsatzfeld) der Nutzer, jedes Thema sowie jedes Firmenimage erfordern spezifische Ergonomie-Konzepte.

Zielgruppe

Die Zielgruppe mit ihrem spezifischen Benutzerverhalten muss zumindest nach den soziodemographischen Kriterien Alter, Geschlecht, Nationalität (Kultur, Sprache), Bildung, Sachkompetenz (Kenntnisse des Anwendungsproblems), Erfahrung im Internet und mit dem PC (Interaktionskompetenz, Leistungsfähigkeit), Benutzungshäufigkeit, Vorlieben, Anwendungsgewohnheiten, Abneigungen etc. gruppiert werden. Man kann hier von einem vieldimensionalen Benutzermodell sprechen. (Manche wie zum Beispiel Bullinger, Ergonomie, Seite 368f., unterscheiden Benutzergruppe und Benutzerverhalten als disjunkte Kategorien. Da völlig voneinander abgegrenzte und unabhängige Kategorien nicht existieren, erscheint mir dieser Ansatz nicht weiterführend.) Ein Internet-Auftritt für im Internet erfahrene Jugendliche muss in ergonomischer Hinsicht anders gestaltet werden als ein Auftritt für im Internet wenig erfahrene Rentnerinnen. Daneben existieren Unterschiede wie technisch versiert, "zweite Welle" (Menschen ohne besonderes technisches Fachwissen über das Internet), ängstlich, sicherheitsbewusst, grafisch oder textorientiert, Firmennutzung (kostenlos) oder Privatnutzung (Uhr im Kopf respektive in den 2020er Jahren Download-Volumen beim Smartphone).
Um die Wünsche der realen Nutzer zu erkennen, muss man zuerst die wahren Nutzer bestimmen. Oft bestehen erhebliche Diskrepanzen zwischen der vom Besitzer angestrebten und der real vorhandenen Nutzerzielgruppe eines Internet-Auftrittes.

Ziele

Die Bedürfnisse, Ziele der Nutzer bzw. Einsatzfelder unterteilen sich zumindest in Information, Interaktion, Kommunikation, Transaktion und das ziellose Surfen (im Sinne eines zufälligen Schaufensterbummels).

Themenkompatibilität

Hinzu kommt das Thema, das sich allerdings nicht immer in allen Aspekten scharf von der Zielgruppe trennen lässt. So existieren zu jedem Thema eines Auftrittes unterschiedliche Erwartungshaltungen der Nutzer bezüglich der Gestaltung. Dies zielt insbesondere auf den ergonomischen Bereich der Kompatibilität und Sinnfälligkeit. Die Erwartungen der Nutzer lassen sich letztendlich einerseits auf ererbte und andererseits in der technischen und sozialen Umwelt erlernte (Verhaltens-) Stereotypen zurückführen. (Bullinger, Ergonomie, Seite 354). Wenn man diese Stereotypen berücksichtigt, so bezeichnet man das Ergebnis als kompatible Gestaltung. (Hier wird zum Beispiel beim Verhalten die Überschneidung mit der Zielgruppe ersichtlich: So erfordern Linkshänder eine andere für sie kompatible Gestaltung als Rechtshänder. Ferner sind Erwartungen auch kultur- und zeitabhängig.)

Von einer Website über Heavy Metal Hard Rock erwartet man eine andere Gestaltung als von der Darstellung des Themas Wellness-Wohlfühl-Wochenende. Sind bei der Heavy Metall Hard Rock-Band eher harte Kontraste sowie Farben Schwarz, Weiß, Blutrot, scharfe und spitze Formen und eine Sprache mit den damit assoziierten Phonemen T, K, P, C, Z, S, SCH und kurze Vokale wie I, (und andere Details, die man mit Metall assoziiert) geeignet, so erwarten die Nutzer (nicht nur die anvisierte Zielgruppe) beim Thema Wellness-Wohlfühl-Wochenende sanfte Farben und weiche Übergänge sowie runde Formen, eine ruhige Sprache mit weichem Klang, d.h. Konsonanten wie W, M, lange Vokale A, O, U (und ähnliches, das sich mit Genießen, Entspannung und Erholung assoziieren lässt). Die ergonomische im Sinne von zum Thema passende und erwartete Gestaltung umfasst somit nicht nur das Design/Layout, sondern meint die Gesamterscheinung bis hin zum textlichen Inhalt in seiner linguistischer Form. Das einfachste Vorgehen zur Lösungserarbeitung besteht hierbei in einem Gruppen-Brainstorming über die mit dem Thema assoziierten Gefühle.

Image

Auch das von der Firma mittels CI/CD festgelegte und über den Internet-Auftritt ausgestrahlte Image beeinflusst die ergonomische Ausgestaltung im Detail. Die Corporate Identity (CI) ist das Bild der Firma von sich mit allen Werten und Idealen. Daraus leitet man das Corporate Design (CD) ab, welches diese Werte darstellt. Man denke hier nur an die Farbwelt oder die Schriftwahl, Stil und Satztechnik.

Bereits diese von Menschen abhängigen Faktoren erklären, warum keine allgemeingültigen Aussagen über Ergonomie im Internet-Auftritt (z.B. in der Form von 'Kochrezepten') existieren können. Da sich ferner neben den Menschen auch das Internet ständig weiter entwickelt, sind viele Aussagen zeitabhängig. Was heute als ergonomisch gilt, muss morgen nicht notwendigerweise noch so empfunden werden. Hieraus folgt, dass die Internet-Ergonomie einen nicht endenden Prozess bildet. Das methodologische Vorgehen zur Erstellung einer ergonomischen Website ist allerdings wissenschaftlich und somit zeitlos.

Leitprinzipien

So kann man zu jeder Zeit die Leitprinzipien festlegen. Diese strategischen Faktoren bilden zusammen die Leitprinzipien, die sich dann in zwei verschiedenen Styleguides operationalisieren lassen. So lassen sich von Informationssystemen zum Thema Wellness für im Internet erfahrene Jugendliche bis hin zu Transaktionssystemen für die Kartenbestellung eines Hard-Rock-Konzerts im Internet für eher unerfahrene Rentner Cluster an Ergonomie-Anforderungen bilden.

Ziel ist es, aus diesen strategischen Fragen ergonomische Leitkonzepte zu entwickeln, die sich in definierten Modulen unterteilen lassen, deren Einsatzgebiet klar festgelegt ist.

Styleguides

Situationsunabhängige Faktoren sind zum Beispiel generelle Ergonomiekriterien wie der Kontrast bei Schrift zum Hintergrund. Derartige Ergonomiefaktoren gehören in einen Basis-Styleguide.
Situative (situationsabhängige) Faktoren sind Details, die sich auf Teile der Möglichkeiten (Zielgruppe und Nutzung) beziehen, wie zum Beispiel die Ergonomie-Anforderungen an eine Transaktion. Sie gehören folglich in Spezial-Styleguides.
Diese Unterscheidung in Basis- und Spezial-Styleguide erlaubt eine mehrmalige Wiederverwendung und ist durch die Trennung auch flexibler ausbaubar. Das ist erforderlich, da der technologische Wandel im Internet sehr schnell vonstattengeht. Dieses System ist somit vergleichbar mit der Wiederverwendbarkeit von Designs in Rahmenwerken.

Wo die Grenze zwischen einem Basis-Styleguide und einem Spezial-Styleguide gezogen werden soll, ist firmenabhängig. So ist es denkbar, dass bei einer Einmarkenstrategie das Corporate Design mit der Werbelinie - in der jeweils mediengerechten Umsetzung - in den Basis-Styleguide integriert wird. Handelt es sich um einen Großkonzern mit einer Mehrmarkenstrategie, so eignen sich in diesem flexiblen System die Spezial-Styleguides.

Vorgehensmodell

Um diese Theorie operationalisieren zu können, bedarf es eines Vorgehensmodells. Ich erläutere Ihnen in einem Informationsgespräch mein wissenschaftliches und in der Praxis erprobtes Vorgehensmodell.

Das nächste Kapitel in den theoretischen Grundlagen beschäftigt sich mit den Normen DIN ISO EN.

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